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05.12.2023
#Einblick #Interview

Drei Fragen an Billinger&Schulz

über Geteilter Abend

Was hat euch dazu bewogen, das Stück „Geteiler Abend“ zu schaffen?

Abgesehen davon, dass Verena einmal wieder selbst auf der Bühne stehen wollte, wollten wir uns damit auseinandersetzen, wie Identität und die eigene Geschichte konstruiert werden. Dabei interessiert uns, was wir teilen und was uns voneinander trennt. Im Deutschen hat das Wort „geteilt“ genau diese doppelte Bedeutung, der wir im Stück versuchen zu folgen.

Ihr habt das Stück zuerst beim „Tanzfestival Rhein Main“ gezeigt, das unter dem Motto „Mind the Gap“ stand. Wie habt ihr den „Gap“, die „Lücke“, das „Stolpern“ in eurer Arbeit aufgegriffen?

Wir begeben uns auf die Suche nach dem, was uns ausmacht, wie wir zu uns selbst und zueinander in Beziehung stehen. Jede Biografie ist eine Erzählung, die Ambivalenzen, Lücken und Brüche aufweist und die immer schon aus Interpretationen, Erinnerungen, Umdeutungen und Umformulierungen besteht. Das Stolpern ist für uns die Person selbst und dann die Frage, wie mehrere als verschiedene Personen und gleichzeitig als Gruppe, auch mit unterschiedlichen Rollen, etwas gemeinsam tun können.

Was bedeutet Gemeinschaft für euch? Welche Formen von Gemeinschaft tragen oder beeinflussen eure Arbeit?

Gemeinschaft ist ein schwieriger und historisch keineswegs unschuldiger Begriff. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bedeutete Gemeinschaft den Zusammenhalt und die Vertrautheit, die sich so in der Gesellschaft in der Moderne nicht mehr direkt herstellt. Die Theorie des Soziologen, der diese Gegenüberstellung artikuliert hat (Tönnies), wurde von den Nazis missbraucht. Auch der Begriff „community“ ist biopolitisch enorm aufgeladen: Man kann ihn von der gemeinsamen Immunität, der co-immunity gegen Anderes und Andere herleiten, was uns zumindest zögern lässt.

In unseren Projekten sehen wir uns als Team, das mit unterschiedlichen Wünschen zusammen an einer Idee arbeitet und sich dabei auf bestimmte Dinge einigt, um uns einem gemeinsamen Ziel anzunähern, wozu z.B. Raum bekommen, aber auch Raum geben gehört. In unseren Arbeiten versuchen wir temporäre Gemeinschaften mit Brüchen, gebrochene Gemeinschaften, in denen Differenz und Abstand erhalten bleiben, herzustellen, so dass das, was uns zusammenhält, die Differenz selbst als sowas wie ein „Band der Teilung“ (Loraux) ist. Vielleicht verfolgen wir in unserer Arbeitsweise also eher ein gesellschaftsvertragliches Verständnis.

Entstanden in Anlehnung an „Drei Fragen an Billinger & Schulz“ für Tanzfestival Rhein Main.