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20.03.2023
#ZumNachlesen #JungesFFT

Es ist lustig und ein bisschen mürrisch

Vortrag von Irina Bârcă im Rahmen des Fachkongresses „rien ne via plus?! Together: ALL IN!“

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Ich möchte mit einem Zitat beginnen:

Es ist ein Block – wie bei Minecraft – auf dem Theater draufsteht. Es guckt mich mit zwei gelben Augen an, macht den Mund auf und im Mund ist ein Theaterstück und da sind Wesen und sie tragen eine Geschichte vor, nicht so wie eine Vorlesung, sondern so etwas wie „Hänsel und Gretel – Die Oper“.

So antwortete Jukka, 10 Jahre alt, auf meine Frage, was das Wesen des Theaters sein könnte.

Ich wurde hier eingeladen und darf heute über das Theater der Zukunft sprechen. Ich bin gebeten worden „meine Thesen zu den Herausforderungen, Chancen und Notwendigkeiten der Theaterproduktion der Zukunft vorzustellen“.

Eine wichtige, aber heikle Frage. Denn wie Florian, 12 Jahre alt, findet, ist die Zukunft erstmal durch ihre Abwesenheit gekennzeichnet. Dazu sagte er: „Also die Zukunft, ich kann mir das gar nicht vorstellen manchmal, dass man überhaupt irgendwann richtig alt wird oder so und was ich ganz schwierig finde, ist wenn man darüber reden muss, was man denkt, was passieren würde, wenn du in der Zukunft wärst und so, weil man weiß halt nicht was in der Zukunft ist und deshalb finde ich das so schwer“.

Hier haben wir also das philosophische Paradox mit der Frage nach der Zukunft zusammengefasst. Sie ist nie da, sondern an einem Horizont in der Ferne. Und weil diese Frage nach dem Theater von übermorgen sich auch für mich zugegebenermaßen etwas groß und etwas schwer anfühlte, habe ich mich entschieden sie mit anderen, vielleicht Theatermacher*innen von übermorgen, mit Kindern und Jugendlichen, zu teilen. Dafür habe ich mit insgesamt 6 Menschen zwischen 9 und 17 Jahre alt gesprochen, allesamt in Projekten am FFT als Darsteller*innen oder Forscher*innen – so der Name eines medien- und theaterpädagogischen Clubs – involviert. Diese Gespräche werde ich versuchen zusammenzufassen und zu reflektieren, mit eigenen und fremden Gedanken und Fragestellungen zu ergänzen. Und natürlich stehen diese Gespräche mit Jukka, Florian, Iker, Abigail, Frida und Fynn nicht repräsentativ für DIE Meinung DER Kinder und Jugendlichen zum Theater von übermorgen, sondern sie stehen für sich alleine, fragmentiert und kurzlebig wie auch unsere Gespräche es waren.

Warum ist es aber so schwer eine Antwort auf diese Frage zu finden? Mögliche Antworten fand ich beim Soziologen Heinz Bude. Dieser schrieb schon 2013 – lange bevor die Klimabewegung in den Protesten wegen der „geklauten Zukunft“ von Fridays for Future sich medienwirksam und global endlich Gehör verschaffte – in einem Essay zu der Frage nach dem Begriff der Generationengerechtigkeit:

„Gemeinsam ist allen Beteiligten (damit meint er die Großeltern, Eltern und Kindern), dass sie den Glauben an die Zukunft verloren haben: die Jungen den Glauben daran, dass sie eine eigene Zukunft haben werden, und die Alten, dass die Jungen noch eine vergleichbare Zukunft erwarten können, wie sie sie gekannt haben.“ Für Bude ist das Konzept der ‚Generationengerechtigkeit‘ in diesem Zusammenhang ein Indiz „womöglich für eine grundlegende Veränderung unseres Zeitbewußtseins überhaupt“. Er sagt: „Das betrifft zuallererst das Verhältnis zur Zukunft. Sie ist für uns kein offener Horizont von Möglichkeiten mehr, sondern eine Wirklichkeit, an der alle Prognosen scheitern, die auf linearen Rechenmethoden beruhen, und die zugleich als Bedrohung unausweichlich auf uns zukommt.“ Zur Gegenwart fährt er weiter fort: „Zwischen der uns überflutenden Vergangenheit und der uns bedrohenden Zukunft entsteht (…) ‚unsere breite Gegenwart‘, in der die Möglichkeiten sich stauen und die Grenzen zurückweichen. Es gibt keine Gründe irgendetwas auszuschließen, und keine Lichtungen, die den Blick öffnen würden. “

Jedenfalls kann ich sagen, dass meine Frage an meine Interviewpartnerinnen, wie sie sich die Zukunft im allgemeinen und die des Theaters vorstellen würden, erstmal nicht mit sprudelnden Gedanken empfangen wurde. Nur Jukka hatte als Star Wars Fan genauere und etwas optimistischere Vorstellungen parat, er sagte: „die Welt wird moderner, wahrscheinlich werden viele Sachen von Robotern erledigt, schwebende Autos so ähnlich wie in Star Wars und dann kann es sein, dass ein Theaterstück nicht mehr existiert so wie wir es jetzt kennen, sondern könnte es ganz anders sein, alles Hologramme oder sowas“.

Frida, 17 Jahre alt, sah zwei Optionen – Stagnation oder Verschwinden, ich zitiere: „Bei solchen Katastrophen wie es sie jetzt gerade gibt, gibt es zwei Wege wo es rausführen könnte – einmal in einer Welt die so ist wie jetzt, oder dass es bergab geht und dass solche Sachen wie Kultur, was den Menschen zum Menschen macht, dass diese Sachen verloren gehen“.

Abigail, 13 Jahre alt, war deutlich optimistischer: „In der Zukunft haben sich Theater viel mehr verbreitet – sagte sie – man kann viel einfacher ins Theater gehen, viel einfacher als es früher war, viel mehr Kinder, Jugendliche und Erwachsene können Theater machen, weil es so viel Spaß macht und in der Schule wird Theater mindestens einmal im Jahr vorgestellt, danach hat man einfach die Möglichkeit Theater selber zu spielen“.

Hier stolperte ich über die Aussage „man kann viel einfacher ins Theater gehen“, weil sie meine und die wahrscheinlich allgemeine Vermutung anrührte, dass es insgesamt nicht unbedingt einfach ist, ins Theater zu gehen, ans Theater zu kommen.

Fynn 14 Jahre alt, bestätigte dies, er sagte: „Ich merke, dass das Theater für Jugendliche nicht attraktiv ist, also Jugendliche gehen nicht gerne ins Theater. Ich schleppe meine Freunde oft ins Theater, ich sag denen ‚okay du kommst mit‘, weil was willst du dagegen machen und es gefällt denen, weil es liegt gar nicht an den Stücken die gezeigt werden, die sind total cool, aber viele Jugendliche sagen ‚ich kann mir einfach Sachen auf Netflix anschauen, das ist für mich günstiger und es ist schneller da‘. Ich glaube, dass vor allem bei den Preisen was verändert werden muss. … Theater für Jugendliche ist immer noch zu teuer … und die Werbung ist auch nicht so da. Es gibt viele Jugendliche die gar nicht da rankommen, Theater zu spielen, Theater zu schauen und dann kommt die Schule dazu und die versaut einem das Theaterspielen oft, weil man sagt okay, wir lesen jetzt ein Theaterstück und dann liest man das, was ja einem gar nicht berührt, weil es halt alt ist und von der Schule behandelt wird.“

Auch Frida war der Meinung, dass Theater zu teuer sei und dass Theater für Kinder und Jugendliche umsonst sein müsse, diese würden ja kein Geld verdienen. Aber auch, dass man sich die Programme durchlesen müsste, stellte ein Hindernis dar, „dafür fehlt meistens die Zeit und der Antrieb“, so Frida.

Insgesamt wurde der Vergleich zum Film und zu Netflix immer gemacht, für Jukka eher im Nachteil des Theaters, für Abigail im Vorteil. Jukka sagte „beim Theater ist es so, dass alles nicht wirklich so in die Story passt. Es ist diese Bühne und die Schauspieler. Aber man kann es nicht machen, dass die Kostüme so sind, dass man die Schauspieler nicht erkennt, es ist nicht so mega gemacht wie Filme, das finde ich halt so ein bisschen ‚okay‘, es ist nicht schlimm, aber bei Theater ist es so, dass nicht alles exakt dazu passt.“

Abigail meinte hingegen entschieden: „Theater sollte anders als Film sein, dass du die Leute wirklich siehst, du siehst sie in echt und dann siehst du einfach wie die sind und das wird nicht so sein wie jedes andere TV-Film“. Und auch wenn die Stücke, die sie in der Grundschule mit ihrer Klasse schaute, immer „durcheinander“ waren, so ihre Wortwahl, so fand sie dieses Durcheinander reizvoll, weil sie dahinter kommen wollte und weil „das Verwirrte – wie sie sagte – auch manchmal gut sein kann.“

Auch Fynn gefielen im Theater meist die Momente die, wie er sagte, „anders als normal sind“, wenn beispielsweise die Klingel bei Biedermann und die Brandstifter unfassbar laut klingelt und das Licht dazu flackert, was ja im Alltag – zum Glück könnte man sagen – nicht passiert. Und noch etwas, weil die Einfachheit der Antwort bestach. Auf meine Frage, warum ihm Tanz gefiele antwortete er „weil es schön ist, weil es schön zum Anschauen ist“.

In diesen Gesprächen spiegelte sich alles wieder: Das Theater und die ästhetische Erfahrung als eine Unterbrechung vom Alltag, als Mittel zur Überhöhung und als „Kochtopf“ für das verwirrende Durcheinander, das man zu entwirren sucht. Aber eben auch die Institution zu der man nicht einfach hinkommt, weil es eine Uhrzeit gibt zu der man da sein muss, Geld dafür bezahlt werden muss und man einfach nicht weiß, wie das geht. Weil auch das Theatergehen, eine Aktivität ist, die gelernt werden muss.

Vielleicht kann das Theater von übermorgen oder das Theater der Zukünfte ein bisschen so sein, wie diese Gespräche – im Dialog, neugierig sein für seine Zuschauer*innen, vielstimmig, interaktiv, forschend – ein intergenerationelles Theater der Gemeinschaften. Nach den Gesprächen fühlte es sich jedenfalls leichter an über die Zukunft nachzudenken oder wie Heinz Bude es vielleicht formulieren würde – tat sich eine Lichtung auf.

Und deshalb frage ich mich: Warum wird eigentlich nicht nur das Theater, sondern alles was mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, in der Regel schlechter finanziert und weniger beachtet? Müsste es nicht genau umgekehrt sein, müsste nicht genau alles was mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat unsere größte Aufmerksamkeit und die beste Finanzierung erfahren? Hier bedarf es meiner Meinung nach eines gesamtgesellschaftlichen Umdenkens, zu dem auch die Theater beitragen können.

Iker, 9 Jahre alt, schoss übrigens auf meine Frage zum Wesen des Theaters die Antwort heraus: „Es ist lustig und ein bisschen mürrisch.“


Vortrag im Rahmen des Fachkongresses für Solo-Selbstständige Theaterkünstler*innen und Produktionsteams „rien ne via plus?! Together: ALL IN!“, online & Akademie für Theater und Digitalität Dortmund